Das Chorkonzert des Jahres
Studiochor führte "The Messiah" auf
VON MICHAEL BEUGHOLD
Bielefeld. Der enorme Aufschwung, den der Studiochor Bielefeld unter der
Leitung von Martin Fugmann genommen hat, war mehrfach für ein Staunen gut. Doch mit Händels
"Messiah" hat er alles Bisherige und sich selbst übertroffen, glückte und beglückte in der voll
besetzten Pauluskirche, eine Aufführung, die hierorts wohl ihresgleichen sucht.
Ja, was soll denn das Besondere, Außerordentliche sein? Gute Chöre hat die Stadt ebenso wie
wissende Chorleiter mit einer Idee oder Vision vom aufzuführenden Werk einige aufzuweisen,
exzellente Solisten lassen sich je nach Finanzkraft und Kenntnis der Szene finden.
Den oratorischen Megahit "Messias" bekommt man zu Recht (gerade Barockmusik lebt die Kongruenz
von Klang und Wort oft sinnbildhaft aus) immer öfter als "Messiah" in der englischen
Originalsprache geboten, und auch in historischer Aufführungspraxis mit ebensolchem
Instrumentarium erlebte ihn der Bielefelder Musikfreund bereits.
Aber in der überdies besonders chorwerkfreundlichen Pauluskirche kam all das so hochstehend
zusammen und mit nicht auslassender Konzentration und Spannung über, dass man über die gut
zweieinhalbstündige Mammutdistanz wie gebannt die Kirchenbank drückte.
Martin Fugmann hat sich den Reichtum im Gesamtplan der 52 Nummern über Verkündigung, Geburt,
Leiden, Triumph und Nachwirken Christi barockstilistisch kongenial zu eigen gemacht. (Zwei
unerklärliche kleinere Striche wobei ohne das "Tod, wo ist dein Stachel" zwei Arien direkt
aufeinander folgen, sind die einzige Ungereimtheit.) Er ist beseelend eins mit dem
musikdramatischen Atem und hochfliegend dran am Puls dieses messianischen Klangorganismus. So
extrem aufgefächert er Tempi und Satzcharaktere nimmt, so bezwingend ist die interpretatorische
Geschlossenheit in der Vielfalt.
Gehalt und Affekte, Klang und Strukturen - Fugmann perfektioniert Kontraste, kann aber auch
subtil aufbauen, wie etwa die Steigerungsdramaturgie des "Hallelujah" oder das aus Verhaltenheit heraus krönende ;‚Amen" zeigten. Seinen Studiochor hat er stimmtechnisch hervorragend geschult, dass er ihm anscheinend mühelos in stiebend artikulierte Fugenlockerheit bis hin zum schier atemberaubend entfesselten "Let us break" zu folgen vermag.
Wendigkeit, Konturenschärfe und Klangsinn nehmen wie namentlich im "For into us a child is born"
geradezu suggestive Züge an. Vieles an Ausdruck wäre so nicht denkbar ohne die animierende
"historische" Spielklasse des Ensembles "Le nuove musiche" von Gregor van den Boom, das seine
Darmsaiten- und. Rundbogen-Authentizität nicht nur in den einschlägigen Tonmalereien ("For he is
like a refiner's fire" oder "He gave his back") virtuoser denn je an den Mann bringt.
Die Solisten konnten besser kaum (Sopran, Tenor), oder nicht (Alt, Bass) sein. Alle vier boten
nach Technik, Stilkenntnis und Stimmebenmaß - die Kratzerchen im Sopran von Astrid Niggemann
klangen eher nach Tagesform -Händelgesang in Reinkultur.
Wie der Tenor Hugo Mallet so britisch distinguiert wie klangvoll Prophetentrost ("Comfort ye -
Every valley") vorgab, war das Leitschnur für ein "sprechendes" Musizieren, das nie rhetorhaft
"machen" muss. Der wunderschönen, wunderbar gereiften Altstimme von Christa Bonhoff gelang, wie
sie so in eins Würde, Schmerz, Scham in das unendlich ruhevoll ausgebreitete "He was despised"
einfließen ließ, schlicht ein Mirakel und sängerische Erfüllung. Und von Christoph Nagler, einem
lyrischen Bariton mit einem phänomenal bassig gerundeten Klangfarbenspektrum, durfte man ob
seiner koloraturwütigen Bravour ("The trumpet shall sound") und Singausstrahlung ungeniert
schwärmen und hingerissen sein.
Dementsprechend gewaltig der Beifall für eine Aufführung, die womöglich das Prädikat "Bielefelder Chorkonzert des Jahres" verdient hätte.
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